Festbrennweiten und die Kreativität
Immer wieder taucht in Online-Foren die Behauptung auf, dass Festbrennweiten (FB) ursächlich für kreativere Aufnahmen wären. Was ist da dran?
Pauschal beantworten lässt sich diese Frage nicht. FB haben zwar gegenüber Zoomobjektiven Eigenschaften, durch die der Kreativität mehr Spielraum geben wird, aber auch unbestreitbare Nachteile, die, die Kreativität einschränken. Diese Nachteile werden gerne ausgeblendet oder irrtümlich als Vorteil ausgegeben.
Festbrennweiten werden vor allem wegen ihres zumeist höheren Auflösungsvermögens, der höheren Lichtstärke, des manchmal besseren Bokeh und der geringen Verzeichnung genutzt. Die Konstruktion von Festbrennweiten ist einfacher, weil die Objektive nur auf eine einzige Brennweite hin konstruiert werden müssen.
Der kreative Spielraum wird einzig und allein durch die höhere Lichtstärke erweitert. Neben dem Vorteil, dass mit größeren Blenden kürzere Verschlusszeiten erzielt werden können, die dafür sorgen, dass Bewegungen besser eingefroren und Aufnahmen bei wenig Licht überhaupt noch realisieren werden können, ist es vor allem das Spiel mit der kleineren Schärfeebene. Teile des Motivs können besser vom Vorder- und Hintergrund getrennt bzw. freigestellt werden. Unwichtige Bildbestandteile befinden sich dann gegebenenfalls früher und tiefer in Unschärfebereichen. Dadurch lenken sie weniger ab und die Aufmerksamkeit der Betrachter wird stärker auf das Hauptmotiv gelenkt.
Kommen wir zu dem Punkt, wo es fragwürdig wird:
Es wird zuweilen behauptet, dass es ein Vorteil wäre, dass Festbrennweiten nur über eine Brennweite verfügen, weil dadurch der Zwang entsteht, sich mit der einen Brennweite stärker auseinander zu setzen. Dies würde es einfacher machen, neue bessere Fotostandorte und Perspektiven zu finden. Dabei wird dann auch noch gleich selbstverliebt auf Zoomnutzer herabgeblickt, weil diese Zooms vorrangig nutzen würden, um sich Laufereien zu ersparen.
Natürlich gibt es diese Spezies, die nur knipst und sich wenig oder keine Gedanken zur Perspektive und der sich mit der Entfernung verändernden Unschärfeverteilung macht. Einem ambitionierten Fotografen ist aber auch mit einem Zoomobjektiv an der Kamera, die positive Wirkung der Laufarbeit bewusst, so dass er sich genauso viel Mühe gibt, den optimalen Fotostandort und die optimale Perspektive zu finden, genauso wie ein FB-Nutzer.
Zumal sich ein Zoomobjektivnutzer auch auf die Nutzung einer einzigen Brennweite beschränken könnte. Er wird sich aber nicht unnötig seinen kreativen Spielraum beschneiden, sich also bei der Bildgestaltung und Perspektivenwahl einschränken wie er es zwangsweise müßte, hätte er nur eine oder wenige Brennweiten zur Verfügung.
Soll beispielsweise noch ein Objekt im Vordergrund mit aufs Bild, kein Problem, ein Dreh am Zoomring macht es möglich, ohne die gewünschte Perspektive aufgeben zu müssen. Ein Festbrennweitennutzer wäre jetzt gezwungen, die Perspektive zu ändern und/oder zurückzugehen wodurch nebenbei auch mehr Umgebung aufs Bild gelangt als gewünscht. Den gewünschten Bildaufbau mit der optimalen Perspektive bekommt er nicht zu Stande.
Diese Abweichung von Standard kann manchmal als interessanter empfunden werden, kann aber genauso mit Zooms realisiert werden. Der FB-Nutzer beschränkt sich durch die geringe Brennweitenauswahl somit unnötig seinen kreativen Spielraum, womit schon an dieser Stelle die pauschale Behauptung widerlegt ist, dass die FB-Nutzung für kreativere Ergebnisse sorgt. Vorausgesetzt man versteht unter "kreativ" mindestens genauso gute oder bessere Ergebnisse.
Aber es geht noch weiter. Manche Festbrennweitenverfechter kommen spätestens jetzt mit der psychologischen Argumentation. Es wäre ihrer Ansicht nach sehr hilfreich, nur eine Brennweite nutzen zu können weil man so gezwungen ist, die Welt mit einem bestimmten engen Blickwinkel zu betrachten und erst dadurch in die Lage versetzt wird, einige besonders interessante Motive zu entdecken. Den „Vorteil“, mit einem festen statt variablen Bilderrahmen vor Augen durch die Landschaft zu ziehen, weil das eigene Vorstellungsvermögen unzureichend ist, will sich mir nicht ganz erschließen. Zumal Zoomobjektive auch mit nur einer Brennweite genutzt werden können. Dabei werden Zooms vermutlich ohnehin weit überdurchschnittlich an ihrem langen und kurzen Ende genutzt, also häufig wie zwei Festbrennweiten.
Ich verschließe mich nicht der Tatsache, dass der Zwang nur eine Brennweite nutzen zu können, interessant und lehrreich sein kann und hilfreich den Blick zu schärfen. Aber eine Festbrennweite braucht es dazu nicht. Die ausschließlichen Festbrennweitennutzung hat auch noch weitere Nachteile: Die schlechte Abdeckung des Superweitwinkelbereichs. Superweitwinkelaufnahmen wirken wegen des großen Bildwinkels. Hier machen 2-3 Millimeter Brennweitenunterschied sehr viel mehr aus als im Normalbrennweiten- oder gar Telebereich. Hinzu kommt der praktische Aspekt, dass Unsummen in Euro und Cent benötigen würden um so manches Zoomobjektiv gut zu ersetzen und teils auch einen Sherpa benötigt würde um all die Objektive dabei zu haben die man brauchen könnte. Und dann gibt es auch Situationen in denen nicht die Zeit vorhanden ist, das Objektiv zu wechseln oder in denen es die Witterungsumstände nicht zulassen.
Fazit: Festbrennweiten können lediglich die eingangs erwähnten konstruktionsbedingten Vorteile verbuchen, deren herausragende Eigenschaft die größere Blende ist, die kürzere Verschlusszeiten ermöglicht und eine bessere Freistellung. Alle sonstigen Vorteile wirken sich nicht auf die kreative Bildwirkung aus, wenn Spezialobjektive außen vor gelassen werden.
Der erwähnte psychologische Effekt ist überwiegend Einbildung bzw. kommt in der Praxis nur deshalb zum Tragen, weil sich der Blick für die Motive ändert, nur weil gerade ein anderes Objektiv an die Kamera geschraubt wurde. Ich vermute deshalb, daß eher Anfänger ein Aha-Erlebnis haben als Fotografen mit deutlich mehr Erfahrung.
Die Vorteile der Festbrennweite gibt es nur auf Kosten der extrem eingeschränkten Auswahl an Brennweiten, die, die Kreativität erheblich einschränkt.
So ist und bleibt es am Ende vom Motiv und der Bildidee abhängig, was im Einzelfall vorteilhafter ist. Es ist daher von Vorteil, sowohl Festbrennweiten, als auch Zoomobjektive zur Verfügung zu haben.